[EN] A General Typology of Modern Direct Democracy
[FI] Modernin suoran demokratian ja kansanäänestysmenettelyjen luokittelu
[GR] ΣΥΝΟΠΤΙΚΗ ΕΡΓΑΛΕΙΟΘΗΚΗ ΤΗΣ ΣΥΓΧΡΟΝΗΣ ΑΜΕΣΗΣ ΔΗΜΟΚΡΑΤΙΑΣ
Eine Typologie moderner direkter Demokratie und der Volksabstimmungsverfahren
Diese Typologie offeriert ein Koordinatensystem zur Erfassung aller Volksabstimmungsverfahren über politische Sachfragen. Dies bedeutet, dass Abstimmungen über Personen und Parteien, wie z.B. Recall, nicht dazu gehören. Die vorgeschlagene Klassifikation beruht auf der Unterscheidung von drei verschiedenen Typen von Volksabstimmungsverfahren: Initiative, Referendum und Plebiszit. Die Initiative erfasst Verfahren bei denen das Verfahren vom Autor der Abstimmungsvorlage initiiert wird, beim Referendum hingegen sind die beiden Instanzen verschieden. Plebiszite wiederum sind Volksabstimmungsverfahren, die von einer repräsentativen Behörde ausgelöst werden. Es gibt Verfahren und Praktiken, die Elemente verschiedener Volksabstimmungstypen mischen, wie zum Beispiel die Agenda-Initiative. Solche Verfahren sind häufig das Ergebnis eines Kompromisses zwischen Befürwortern und Gegnern der direkten Demokratie; die rechtliche Ausgestaltung solcher Verfahren weist in der Regel beträchtliche Mängel auf.
(1) Zur Agenda-Initiative gehört keine Volksabstimmung.
(2) Volksversammlungen sind eine Form der direkten Demokratie; sie verlangen eine eigene Analyse und sind in dieser Typologie nicht enthalten.
How to use the typology (Opens PDF in new window)
Contains an algorithm designed to help to determine the forms of procedure that are given by law (constitution + referendum laws + regulations).
Einmal braucht es die Typologie, um gewisse Verwirrungen in den Diskussionen über direkte Demokratie zu vermeiden. Verwirrungen entstehen, wenn verschiedene Verfahren in denselben Topf geworfen werden, beispielsweise wenn das Wort ‘Referendum’ zur Bezeichnung sowohl einer von Behörden kontrollierten Volksabstimmung als auch eines wirklichen Referendums verwendet wird. Umgekehrt wird eine Verständigung auch dadurch erschwert, dass für ein gleiches Verfahren sehr unterschiedliche Bezeichnungen verwendet werden, beispielsweise wenn eine Agenda-Initiative auch Volksantrag, Volkspetition oder Volksinitiative genannt wird.
Zum anderen werden in den einzelnen Ländern sehr unterschiedliche rechtliche Terminologien verwendet. Es braucht eine Typologie also auch dafür, dass Volksabstimmungsverfahren verschiedener Länder miteinander verglichen werden können.
Das Ziel dieser Typologie ist es, die real existierenden Verfahren möglichst realistisch und nicht bloss formal zu klassifizieren. Die Worte ‘Initiative’ und ‘Referendum’ bezeichnen zwei verschiedene Verfahrenstypen, deren Gebrauch von einer Minderheit (eine bestimmte Anzahl von Stimmbürgerinnen) kontrolliert wird, mit Ausnahme des obligatorischen Referendums, dessen Verwendung im Gesetz festgelegt ist. Das Wort ‘Plebiszit’ bezeichnet einen dritten Verfahrenstyp: von Behörden kontrollierte Volksabstimmungen. Der Unterschied zwischen Referenden und behördenkontrollierter Volksabstimmungen ist wesentlich; während Referenden Volksrechte sind, können Plebiszite von den Machthabern als Legitimierungs- und Mobilisierungsinstrumente eingesetzt werden oder zur Umgehung von anderen repräsentativen Organen oder um missliebigen politischen Entscheiden auszuweichen.
1) Wer ist der Autor der Abstimmungsfrage (eine bestimmte Anzahl von Bürgerinnen und Bürgern, eine Minderheit einer repräsentativen Behörde, eine repräsentative Behörde)
2) Wer ist der Initiator des Verfahrens (eine bestimmte Anzahl von Bürgerinnen und Bürgern, das Gesetz (die Verfassung), eine Minderheit einer repräsentativen Behörde, eine repräsentative Behörde)
3) Wer entscheidet (alle Stimmberechtigten, eine repräsentative Behörde)
In den folgenden Tabellen sind die Verfahrensformen in Spalte 1 aufgeführt. Die folgenden Spalten geben den Autor des Abstimmungsvorschlages an (Spalte 2), wer das Recht zur Auslösung des Verfahrens hat (Spalte 3) und wer das Recht hat über den Ausgang des Verfahrens zu entscheiden (Spalte 4). Farben zeigen den TYP des Verfahrens an: grün für Initiative, rot für Referendum und grau für Plebiszit.
Kürzel
Der erste Buchstabe bezeichnet den Initiator des Prozesses
A=Authority, L=Law, M=Minority of an Authority, P=Popular
Der zweite Buchstabe charakterisiert die Form des Verfahrens
A=Agenda setting, C=Citizen controlled, O=Obligatory, T=Top-down, V=Veto,
Der dritte Buchstabe bezeichnet den Verfahrenstyp
A=Assembly, I=Initiative, P=Plebiscite, R=Referendum, X=Mixed
Das “+” Zeichen bedeutet, dass das Verfahren die Möglichkeit eines Gegenvorschlags enthält.
Tabelle 1 Instrumente zur Ermächtigung der Bürger/innen (Initiativen und Referenden)
Tabelle 2 Instrumente zur Ermächtigung der Behörden (Plebiszite)
Die Agenda-Initiative ist kein Volksabstimmungsverfahren aus dem einfachen Grund, dass dieses Verfahren keine Volksabstimmung enthält. Des weiteren ermangelt ihr ein wesentlicher Bestandteil der direkten Demokratie: das Recht der Bürger/innen zu entscheiden. Auch wenn die Anfangsphase der Agenda-Initiative einer Volksinitiative ähnelt, gibt es einen bedeutenden Unterschied: die Volksinitiative richtet sich an alle Bürger/innen und die Agenda-Initiative an eine repräsentative Behörde (z.B. das Parlament oder die Europäische Kommission). Des weiteren, während die Volksinitiative einen Abstimmungsvorschlag macht, äussert die Agenda-Initiative nur eine Forderung oder Bitte, die von einer repräsentativen Behörde entschieden wird. Die Agenda-Initiative mag oberflächlich gesehen wie eine Volksinitiative aussehen, doch hat sie einen völlig anderen Charakter, basierend auf der kategorischen Machtungleichheit zwischen den Bürger/innen und den Entscheidern. Die Agenda-Initative ist ein Mischtyp, der Elemente der Initiative mit Elementen des Plebiszits mischt: eine bestimmte Anzahl Büger/innen haben das Recht, das Verfahren zu initiieren und eine Forderung zu stellen, aber dann geht die Kontrolle des Verfahrens über an die Repräsentanten als Entscheider.Tabelle 3 Agenda-Initiative (Mischtyp)
TYPEN und Formen von Volksabstimmungsverfahren
INITIATIVE
bezeichnet einen Typ von Volksabstimmungsverfahren. Diese sind charakterisiert durch das Recht einer Minderheit, üblicherweise eine bestimmte Anzahl von Stimmberechtigten, der gesamten Stimmbürgerschaft ein neues oder erneuertes Gesetz zur Diskussion und zum Entscheid vorzulegen. Über die Annahme oder Ablehnung dieses Initiativvorschlages wird mittels Volksabstimmung entschieden.
Volks- oder Bürgerinitiative (PCI)
Ein direktdemokratisches Verfahren und politisches Recht, das einer bestimmten Anzahl von Stimmberechtigten erlaubt, einen eigenen Vorschlag auf die politische Agenda zu setzen und eine Volksabstimmung darüber einzuleiten. Beispiele für mögliche Vorschläge sind: eine neue Verfassungsbestimmung, ein neues Gesetz sowie die Änderung oder Aufhebung eines bestehenden Gesetzes. Das Verfahren wird von einer vorgeschriebenen Anzahl Stimmberechtigter initiiert. Das Initiativverfahren kann eine Rückzugsklausel enthalten, die es dem Initiativkomitee ermöglicht, die Initiative zurückzuziehen, z.B. wenn die Legislative die Initiativforderungen ganz oder teilweise erfüllt hat. Parlament und Regierung können eine Abstimmung also nicht verhindern.
Dieses Verfahren kann als Instrument zur Innovation und Reform dienen: es erlaubt den Bürger/innen auf das Gaspedal zu treten. Im Prinzip können die Bürger/innen mit Hilfe von Volksinitiative ihre eigenen Vorstellungen verwirklichen. In der Praxis sind sie meist ein Mittel, um die Bürgersicht mit der Sicht der Politiker zu synchronisieren.
Volks- oder Bürgerinitiative mit Gegenvorschlag (PCI+)
Im Rahmen dieses Initiativprozesses haben repräsentative Behörden (normalerweise das Parlament) das Recht, einen Gegenvorschlag zu formulieren, der als Alternative gleichzeitig mit der Initiativvorlage zur Abstimmung kommt. Im Falle, dass beide Vorlagen angenommen werden (doppeltes Ja), entscheidet eine Stichfrage, welche der beiden Vorlagen implementiert wird.
REFERENDUM
bezeichnet einen Typ von Volksabstimmungsverfahren. Ein Referendum ist ein direktdemokratisches Verfahren, welches eine Volksabstimmung über eine politische Sachfrage beinhaltet; die Stimmberechtigten können die Vorlage entweder annehmen oder ablehnen. Gegenstand eines Referendums kann beispielsweise eine Verfassungsänderung oder ein neues Gesetz sein.
Das Referendumsverfahren wird entweder vom Gesetz ausgelöst (-> obligatorisches Referendum) oder von einer vorgeschriebenen Anzahl Stimmberechtigter (-> Volks- oder Bürgerreferendum).
Volks- oder Bürgerreferendum (PCR)
Ein direktdemokratisches Verfahren und politisches Recht, das von einer vorgeschriebenen Anzahl von Stimmberechtigten ausgelöst wird, damit die gesamte Stimmbürgerschaft darüber entscheidet, ob z.B. ein bestimmtes Gesetz eingeführt werden soll oder nicht.
Dieses Verfahren funktioniert als Korrektiv zur parlamentarischen Beschlussfassung und ermöglicht es den Bürger/innen eine gewisse Kontrolle über Regierung und Parlament auszuüben. Das “Volk” oder demos (also alle Stimmberechtigten) hat im Nachhinein das Recht, über bestimmte Beschlüsse des Parlamentes zu entscheiden. Während die Volksinitiative als Beschleuniger wirkt, gibt das Referendum den Bürger/innen das Recht, auf die Bremse zu treten. In beiden Fällen kann das Ergebnis, je nach Standpunkt, progressiv oder regressiv sein. In beiden Verfahren kommen sich Bürger/innen und Politiker näher.
Volks- oder Bürgerreferendum mit Gegenvorschlag (PCR+)
Dieses direktdemokratische Verfahren kombiniert ein Volks- oder Bürgerreferendum über die Entscheidung einer Behörde mit einem Referendum über einen Gegenvorschlag. Falls beide Vorlagen angenommen werden, kann der Gewinner durch eine Stichfrage ermittelt werden.
Obligatorisches Referendum (LOR)
bezeichnet ein direktdemokratisches Verfahren, das von Gesetzes wegen durchgeführt werden muss. Ein bedingtes obligatorisches Referendum bedeutet, dass eine bestimmte Sachfrage nur unter ganz bestimmten Umständen von den Stimmberechtigten entschieden werden muss (z.B. in Dänemark muss die Abgabe von Hoheitsbefugnissen an internationale Behörden nur dann vom “Volk” entschieden werden, wenn mehr als die Hälfte aber weniger als vier Fünftel des Parlaments diesen Vorschlag angenommen haben). Ein unbedingtes obligatorisches Referendum enthält keine Ausweichmöglichkeiten (z.B. in der Schweiz müssen Verfassungsänderungen immer mittels Volksabstimmung entschieden werden).
PLEBISZIT
bezeichnet einen Typ von Volksabstimmungsverfahren. Ein Plebiszit ist eine “von oben” kontrollierte Volksbefragung. Bei einem Plebiszit bestimmen ausschliesslich die Behörden (Staatspräsident, Regierungschef, Parlament), wann die Stimmbererchtigten zu welchen Themen abstimmen oder befragt werden sollen. Nicht selten haben solche Befragungen lediglich konsultativen Charakter; sie sind also für das Parlament und die Regierung rechtlich nicht bindend. Plebiszite verleihen den regierenden Politikern zusätzliche Macht über die Bürger/innen. Mit ihrer Hilfe können Politiker die Verantwortung für kontroverse, hinderlich gewordene Themen umgehen. Sie dienen zur nachträglichen Legitimierung von Entscheiden, die von den Machthabern längst gefällt worden sind. Sie dienen zur Mobilisierung von Menschen für die Anliegen der Herrschenden. Sie können von einer Behörde dazu verwendet werden, eine andere repräsentative Behörde zu umgehen. Plebiszite dienen nicht zur Verwirklichung von Demokratie, sondern zur Befestigung von Herrschaft mit Hilfe des “Volkes”.
Plebiszit (ATP)
Ein Volksabstimmungsverfahren, dessen Einsatz unter der ausschliesslichen Kontrolle einer Behörde erfolgt. In dieser Verfahrensform sind Autor der Abstimmungsvorlage (der Befragung) und Initiator des Verfahrens identisch (z.B. Parlament oder Präsident).
Veto-Plebiszit (AVP)
Ein Volksabstimmungsverfahren, dessen Einsatz unter der ausschliesslichen Kontrolle einer Behörde erfolgt. In dieser Verfahrensform sind Autor der Abstimmungsvorlage (der Befragung) und Initiator des Verfahrens NICHT identisch. Beispielsweise kann die Regierung oder der Präsident sich einem Parlamentsbeschluss widersetzen (Veto) und diesen zur Volksabstimmung bringen; deshalb der Name Veto-Plebiszit.
Behördern-Minderheits-Veto-Plebiszit (MVP)
Ein Volksabstimmungsverfahren gekennzeichnet durch das Recht der Minderheit einer Behörde, einen von der Mehrheit derselben Behörde gefällten Beschluss den Stimmberechtigten zur Annahme oder Ablehnung vorzulegen. Dieses Verfahren erlaubt es der Minderheit einer repräsentativen Behörde auf die Bremse zu stehen und dem Stimmvolk als Schiedsrichter den Letztenscheid zu überlassen.
Behörden-Minderheits-Plebiszit (MTP)
Ein Volksabstimmungsverfahren und politisches Recht, das einer bestimmten Minderheit einer Behörde (z.B. ein Drittel des Parlaments) erlaubt, einen eigenen Vorschlag auf die politische Agenda zu setzen und durch die Stimmberechtigten entscheiden zu lassen.
MISCHTYP
Agenda-Initiative (PAX)
Die Agenda-Initiative ist das Recht einer bestimmten Anzahl von Stimmberechtigten einer zuständigen Behörde einen Vorschlag einzureichen. Im Unterschied zur Volksinitative richtet sich dieser Vorschlag nicht an alle Stimmberechtigten, sondern an eine Behörde; diese muss den Vorschlag behandeln, doch wird darüber keine Volksabstimmung durchgeführt.